Kritik einer Wertepositionskritik


Liebe arte_povera,
Lieber rhotep,

erst einmal vielen Dank für die ausführliche kritische Auseinandersetzung mit meinem Antrag.

Eure Kritik zeigt, dass wir offenbar grundverschiedene Vorstellungen davon haben, welche Anforderungen ein solches Programmkapitel erfüllen muss, wie fokussiert und kohärent die Aussagen sein sollen und wer die Hauptadressaten dieses Textes sind.

Der überwiegende Teil eurer Kritik lässt sich auf folgende Punkte bringen:

  • die Aussagen sind unvollständig
  • die Aussagen sind nicht präzise genug
  • die Aussagen werden der Komplexität des Thema nicht gerecht
  • die Aussagen sind missverständlich
  • es mangelt den Aussagen an Kohärenz
  • die Aussagen führen zu Widersprüchen

Ich bin ein stückweit erleichtert, denn ich hatte schon befürchtet, es gäbe einen schwerwiegenden Fehler, der den ganzen Entwurf in Frage stellt.

Die gleichen Kritikpunkte treffen nämlich nicht nur auf alle Parteiprogramme zu – sie gelten beispielsweise auch für unser Grundgesetz und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Wir ihr richtig bemerkt, sollte ein Parteiprogramm nicht auf einer bestimmten kohärenten Philosophie aufbauen, denn es gibt schlichtweg kein Weltbild, das für sich kritiklos Gültigkeit und Bestand haben kann. Im Gegenteil, eine Partei sollte eine Pluralität an Meinungen und Philosophien akzeptieren und sich auch zu ihnen bekennen.

Absolute Widerspruchsfreiheit ist in hinreichend komplexen axiomatischen Systemen ebenfalls prinzipiell nicht möglich, geschweige denn, in einem menschlichen Wertesystem.

Ein Wertebekenntnis einer Partei muss Platz und Spielraum für Interpretation lassen, aber nicht so viel, dass es beliebig wird und überhaupt keine Orientierung bietet.

Meine Anforderungen, die ich erfüllen wollte, waren folgende:

  • der Text soll die Partei im politischen Spektrum positionieren, aber nicht festlegen
  • der Leser soll sich mit den Aussagen identifizieren oder sie ablehnen können
  • die Aussagen sollen auch ohne Fachwissen verständlich sein
  • die Aussagen sollen beim Leser Phantasie wecken
  • der Text soll nicht belehren
  • er soll Überblick und Orientierung bieten
  • er soll den Gedanken kein Korsett, sondern Stütze sein
  • er soll halbwegs angenehm und interessant zu lesen sein
  • er soll den Leser berühren
  • es soll kein dummes Zeug drinstehen

Inwieweit das gelungen ist, muss jeder selbst beurteilen, und ebenso, ob die von mir gestellten Anforderungen die richtigen sind, oder eure Ansprüche an Präzision, Wiederspruchsfreiheit, Korrektheit und Vollständigkeit ein sinnvolles und erreichbares Ziel sind.

Der entscheidende Punkt an meinem Entwurf ist, dass er eine Vielzahl von Aussagen enthält, zu denen man zunächst einfach "Ja" sagen kann. (Oder auch nein.) Die Widersprüche, die sich daraus ergeben, dass man zu Aussagen "Ja" sagt, die nicht ohne weiteres miteinander vereinbar sind, zeigen einfach nur die Komplexität des Problems auf, die an vielen Stellen ein Abwägen erforderlich macht.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal die Ansichten von Bjarne Stroustrup ins Feld führen, der nicht primär als Namensgeber für unsere Crew fungiert, weil er die Programmiersprache C++ erfunden hat, sondern weil er auch als studierter Philosoph eine der meinen eng verwandte Sicht auf die Philosophie vertritt:

  • Respekt vor dem Individuum (Kierkegaard) vor grandiosen Theorien oder abstrakter Sorge für die gesamte Menschheit (Hegel, Marx)
  • Empirie vor Ideologie (Aristoteles vor Plato, Hume vor Descartes)
  • Alltagserfahrung und kleine Sorgen des Einzelnen vor Weltformeln
  • Achtung für Gruppen ohne Achtung für ihre Mitglieder ist keine Achtung
  • Die schlimmsten Katastrophen werden durch Idealisten verursacht, die es "nur gut meinen"
  • Ideologen tendieren dazu, sich Erfahrungen zu verschliessen, die nicht ins Schema passen
  • Ideologien verursachen Leid bei Unschuldigen und Enttäuschung und Korruption unter den Anhängern
  • Entscheidungen sollten nicht auf Theorie und Logik allein basieren

Vor dem Hintergrund dieser Grundüberzeugungen, die ihr vermutlich sogar teilt, kann ich eure scholastische Herangehensweise an das Thema überhaupt nicht verstehen. Ich kann nur mutmassen, dass ihr als demnächst professionelle Philosophen derart tief in eurem Fachgebiet verstrickt seid, dass es für euch unerträglich ist, wenn ein Wertepapier der Piratenpartei nicht euren Vorstellungen entspricht.

Ich wage aber zu behaupten, dass ihr aufgrund eurer tiefen Fachkenntnisse und Fachsprache vermutlich gewaltige Probleme haben dürftet, ein Papier zu verfassen, dass euch zufrieden stellt und gleichzeitig von der Mehrheit der Parteimitglieder und den Wählern halbwegs verstanden wird. Eure Kritik lässt mich das jedenfalls stark vermuten. 

Auch ich bin erst nach dem mehrfachen Feedback "normaler" Menschen, dass bei den ersten Anläufen vernichtend war, zu dem vorliegenden Ansatz gelangt.

Die ersten Anläufe wurden kritisiert, weil ich zu viele Begriffe wie z.B. Willensfreiheit verwendet habe, unter denen sich die meisten Menschen nicht das vorstellen, was es bedeutet. Dieses Problem taucht z.B. auch bei Begriffen wie "Naturrecht" auf – allein die Erwähnung dieses Wort in einem Antrag ist ein sicherer Killer, und vermutlich gehören hunderte solcher "Killerworte" zu eurem Sprachgebrauch.

Ich habe auch gelernt, dass viele Menschen Werte als völlig nichts-sagend empfinden, weil sie sind schlichtweg nicht willens oder in der Lage sind, aus Regeln Werte zu abstrahieren oder Regeln aus Werten abzuleiten. Daher versucht mein Text, Werte und Regeln gemeinsam zu veranschaulichen.

Doch da ihr euch mit euer Kritik sehr viel Mühe gegeben habt, will ich es nicht bei einer pauschalen Kritik euerer Kritik stehenlassen, sondern im einzelnen darauf eingehen:

Zu eurer Kritik: “Konzepte werden ohne Kenntnisnahme von Alternativen übernommen.”

Ihr kritisiert folgende Formulierung im Antrag: "Die Würde des Menschen gründet sich in seiner Fähigkeit, sein Wesen und Wollen selbst zu bestimmen."

Hier kritisiert ihr, dass ich viele andere mögliche Begründungen nicht erwähnt habe. Ich räume ein, dass diese Begründung nicht die einzig mögliche ist, daher hatte ich auch mit dem Gedanken gespielt, folgendes zu schreiben:

"Die Würde des Menschen gründet sich unter anderem in seiner Fähigkeit, sein Wesen und Wollen selbst zu bestimmen."

Doch das führt nicht dazu, dass die Aussage verständlicher oder informativer wird, im Gegenteil.

Ich habe daher von allen möglichen Begründungen für die Würde des Menschen bewusst die der (Willens- und Wahl-)Freiheit für das Programm gewählt, da ich sie für die eingängigste und im politischen Rahmen für die zweckmäßigste halte. Ich sie auch für diejenige, die bei den Piraten am ehesten mehrheitsfähig ist.

Zu den von euch angeführten Alternativen: Die Begründungen mit Gott und Seele halte ich für sinnfreies Gewäsch, das revoltieren gegen das Absurde für fragwürdig und identisch mit der Herleitung von Würde aus dem Verstand. Für durchaus diskutabel, sinnvoll und für mich persönlich akzeptabel halte ich die Begründung mit der Empfindungsfähigkeit, aber damit machen wir ein Riesenfass bezüglich Tierwürde auf, was ich im ersten Schritt etwas behutsamer gemacht habe. (siehe “..Geschöpfen der Natur.”)
Die Widersprüchlichkeit von Menschen anzuerkennen ist zwar sinnvoll, aber ich kann nicht erkennen, wie sich dadurch die Würde begründen lässt. Neben den von euch aufgezählten Begründungen habe ich des weiteren folgende mögliche Begründungen für Würde nicht aufgenommen:

  • durch Gottesebenbildlichkeit
  • durch die fundamentale Gleichheit des Menschen
  • durch die Vernunft des Menschen
  • durch Verdienst und Nützlichkeit
  • durch das Gewissen
  • durch das Recht auf Leben
  • die direkte Begründung mit Kants Objektformel

Die von mir gewählte Begründung lehnt sich auch eng an die von Grundgesetzkommentaren und des Bundesverfassungsgerichts an.

Ihr fragt: “Was bedeutet es eigentlich genau, sein Wesen und Wollen selbst zu bestimmen?” Das ist im Folgesatz eigentlich ziemlich klar und verständlich ausgedrückt: “Er ist von Natur aus frei in der Wahl seiner Ziele und der inneren Gesetze, nach denen er handelt und entscheidet.”

Aber hier gerne noch ein paar weitere Ausführungen dazu:

An dieser Stelle findet sich kompakt und möglichst einfach beschrieben die wichtige Unterscheidung zwischen “Willens-, Wahl- und Handlungsfreiheit”. Dabei habe ich bewusst auf diese Fachbegriffe verzichtet, da ich sie hätte definieren müssen und das Ganze dann trocken und belehrend geworden wäre. Wie bereits gesagt, ich habe im letzten Jahr viele Varianten ausprobiert und die Meinung sehr unterschiedlicher Leute dazu eingeholt, innerhalb und ausserhalb der Partei, und die Variante, die verschiedenen Formen von Freiheit zu benennen und zu definieren, kam als Programmtext allgemein nicht gut an. Sie war aber Teil meines Vortrags auf der OpenMind.

Obwohl meiner Meinung nach die ersten beiden Sätze relativ klar sind, hier einige weitere Gedanken, die ich mir dazu gemacht habe:

Unser Wesen selbst zu bestimmen bedeutet, dass wir zwar keinen Einfluss darauf haben, als wer wir geboren werden, aber sehr wohl darauf, als wer wir sterben.

Unser Wollen selbst zu bestimmen bedeutet, dass wir unsere Ziele im Leben selbst setzen können.

Beides hebt uns von beispielsweise von Computern und Tieren ab. Ein Kamel wird als Kamel geboren und stirbt als Kamel. Ein Computer kann nur die Programme ausführen, die ihm eingespeist werden. Ein Mensch dagegen hat die Freiheit, sich sein “Programm” selbst zu wählen oder zu schreiben. Er kann sich entscheiden, sein Leben als Rassist, Faschist, Schläger oder Mörder zu führen, oder als Humanist, Pirat, fürsorgliches Elternteil, Künstler, Bäcker, Philosoph oder einfach als freundlicher Mensch zu leben und zu sterben.

Natürlich kann man auch grundsätzlich bezweifeln, ob wir diese Freiheit überhaupt haben, das Universum vielleicht deterministisch ist, und wir alle komplett das Produkt unserer Gene und unserer Umwelt sind und überhaupt keine Freiheit haben. Diese Haltung kann man einnehmen, aber dann brauchen wir auch keine Politik zu machen. Oder haben keine andere Wahl, als Politik machen zu müssen.

Auch geht es darum, dass wir den wichtigen Zusammenhang zwischen Würde und Freiheit für uns feststellen, und nicht um eine Aufzählung von allem, was an Begründungen für Würde alles vorstellbar ist.

Wie ihr auch einräumt, können wir es im Rahmen eines Programms leider nicht leisten, einen vollständigen Einblick in das gesamte Spektrum ethischer und philosophischer Erkenntnisse der Menschheit zu bieten. Im Gegenteil: In einem Programm müssen wir, so schmerzhaft es sein mag, Position beziehen und eine Auswahl treffen. Das schwierigste an der Formulierung des Textes war es, all die Dinge wegzulassen, die auch richtig, aber nicht zielführend sind.

Zu den "unerwünschten Nebenwirkungen der Festlegung:"
Da mir diese beim Verfassen sehr wohl bewusst waren, habe ich an anderer Stelle im Abschnitt “Würde”  genau die pragmatische Lösung präsentiert, die ihr einräumt nicht zu haben:

Wir bekennen uns dort zur gleichen Würde aller Menschen, weil alles andere in Konsequenz zu Rassismus, extremer sozialer Schichtung, Sklaverei und Völkermord führt. Insbesondere verdeutlichen wir dort den historischen Zusammenhang zwischen Artikel 1 des Grundgesetzes und den Greueltaten im Faschismus an. Punkt.

Eure Kritik an der Würdebegründung im ersten Satz läuft daher weitgehend ins Leere, da ihr den Abschnitt “Würde”  in dem Zusammenhang offenbar völlig ignoriert habt.

Nimmt man die von euch beschrieben Grenzfälle vor dem Hintergrund des Abschnitts “Würde”, so ist das Problem der Würde von Komapatienten, Behinderten und Babies ist damit komplett vom Tisch.

Bleibt die Frage nach der Würde von Embryonen, doch auch hier sehe ich in meinem Text keine Verpflichtung, zum Abtreibungsgegner zu werden, denn schlimmstenfalls stehen sich die gleiche Würde von Mutter und Embryo/Fötus erst einmal entgegen – es lässt sich also allein aus dem Text keine Präferenz ableiten, ob der Embryo/Fötus oder die Mutter wichtiger sind.

Man muss in diesem Fall also weitere Überlegungen anstellen und dann abwägen, doch das ist ein riesiges Thema und bedarf sicher eigenständiger Debatte, doch ich möchte im folgenden beispielhaft darlegen, wie ich im Rahmen dieses Wertekapitels damit umgehen würde:

Ich würde mich hier beispielsweise der Meinung anschliessen, dass es sich bei einem Embryo vor der neunten Schwangerschaftswoche nicht um ein empfindungsfähiges Wesen handelt, da noch kein Nervensystem vorhanden ist. Insofern hat ein Embryo ohne Nervensystem definitiv noch nicht den Schritt zur Menschwerdung vollzogen.

Schwieriger ist die Frage beim Fötus ab der neunten Woche, den man bereits als empfindungsfähiges Wesen betrachten muss und der daher mindestens die Würde eines empfindungsfähigen Tieres besitzt. Der Fötus ist aber bis zur Entbindung vollständig vom Organismus der Mutter abhängig – niemand sonst kann sein Überleben gewährleisten. Die  Mutter wäre nicht verpflichtet, ihre Würde, ihre Gesundheit und ihr Leben für die Erhaltung des Fötus opfern, selbst wenn man diesem die gleiche Menschenwürde zuspräche, was aber ebenfalls fragwürdig ist, da die Natur mit der Entbindung einen klar definierten Übergangspunkt gesetzt hat, an dem ein Mensch beginnt, selbstständig zu atmen und mit der Umwelt in Austausch zu treten. Es erscheint daher sinnvoll, diesen Zeitpunkt als den zu wählen, an dem ein Mensch mit der gleichen Würde wie alle anderen Menschen ausgestattet wird.

Die von euch ins Feld geführte Nebenwirkung kann ich nicht erkennen – im Gegenteil finde ich die von mir gewählte Würdebegründung hier eher hilfreich.

Ihr kritisiert folgende Formulierung im Antrag:  "Jeder Mensch hat ein Eigentumsrecht an den Früchten seiner Arbeit und den Gütern, die er durch gerechte Vereinbarung erworben hat. Dabei hat er jedoch den Beitrag der Gemeinschaft oder anderer Menschen angemessen zu würdigen, den sie für ihn zum Erwerb und Erhalt seines Eigentums leisten."

Das Problem, dass jemand aus dieser Formulierung ein Recht auf geistiges Eigentum konstruieren könnte, kam mir bei der Formulierung durchaus in den Sinn. Bei genauerer Betrachtung lässt sich damit aber aus dem ersten Satz nicht ableiten, dass ein Schöpfer das beispielsweise das Recht hat, das Kopieren eines Songs zu verbieten.

Sehr wohl lässt sich daraus aber ableiten, dass nicht einfach jeder ungefragt diesen Song verkaufen darf.

Dies deckt sich meiner Meinung nach auch mit der Position der Piraten, die ja wohl kaum die Urheber rechtlos stellen wollen. Ausserdem begründet diese Formulierung die Position des Schaffenden und räumt ihm maximale Freiheit im Umgang mit seiner Schöpfung ein, was ebenfalls nicht im Widerspruch zu Forderungen der Piraten steht.

Der zweite Satz dahinter berücksichtigt die Piratenposition, dass insbesondere geistige Schöpfungen nicht im luftleeren Raum stattfinden und die Gemeinschaft und andere Schöpfer ebenfalls Rechte haben, welche individuelle Eigentumsrechte beschränken.

Ich halte aber unabhängig vom Immaterialgüterrecht dieses allgemeine Bekenntnis zum verfassungsmässigen Recht auf Eigentum für unverzichtbar, wenn wir uns nicht aus der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unserer Verfassung herausbewegen wollen.

Insbesondere muss diese Formulierung auch im Kontext mit den anderen Regeln im Text gesehen werden, die den übermässigen oder unfairen Erwerb von Eigentumsrechten überwiegend beschränken.

Den Erwerb von Eigentumsrechten an den Früchten der eigenen Arbeit nicht anzuerkennen dürfte kaum Piratenposition sein – selbst wenn es sich dabei um Immaterialgüter handelt. Das bedeutet aber nicht, dass sich das Eigentum in vollem Umfang auf Kopien erstreckt, die sich in fremdem Besitz befinden.

Das grundsätzliche Eigentumsrecht am selbst geschaffenen halte ich für eine wichtige freiheitliche Position, die aufzugeben uns in der autoritären Hälfte des Spektrums positionieren würde.

Ihr kritisiert folgende Formulierung im Antrag: "Jeder Mensch hat grundsätzlich das Recht auf gleiche Lebens- und Entwicklungschancen."

Eure Kritik bleibt hier sehr an der Oberfläche und erscheint mir ziemlich an den Haaren herbeigezogen – was ihr auch halb einräumt. Vermutlich habt ihr das Wort “grundsätzlich” übersehen, das bereits anerkennt, dass die Herstellung gleicher Lebens- und Entwicklungschancen allgemein erstrebenswert, aber praktisch nicht in allen Fällen erreichbar ist. Euer Einwand mit dem “Levelling Down” zieht auch nicht, denn das progressive Einkommensteuerrecht ist beispielsweise praktiziertes “Levelling Down”, und ich glaube kaum, dass ihr grundsätzlich ablehnt, dass die Leistungsfähigeren auch grössere Lasten tragen sollen. Wenn dem so sein sollte, sind wir da einfach anderer Meinung.

Ihr kritisiert folgende Formulierung im Antrag: "Wer durch die Natur oder das Schicksal in Not gerät, der hat Anspruch auf besondere Hilfe der Gemeinschaft. Das gilt auch, wenn der einzelne im Rahmen der Entfaltung seiner Persönlichkeit besondere Risiken eingeht. Wer bewusst extreme Risiken eingeht hat nur dann Anspruch auf Solidarität, wenn er sich zuvor der Unterstützung der Gemeinschaft versichert hat."

Die Kritik an dieser Stelle kann ich ansatzweise nachvollziehen, und das Ganze ist offenbar erläuterungsbedürftig. Der zweite und dritte Satz stehen drin, weil es ein ganzes Fachgebiet der empirischen Gerechtigkeitsforschung gibt, das sich mit der Frage von Solidarität und Eingehen von Risiken beschäftigt. Das alles ist nicht in erster Linie auf Hartz-IV gemünzt, sondern zunächst sehr allgemein. Ich versuche dennoch mal den praktischen Politik- und auch den Hartz-IV-Bezug herzustellen, wo ich es einen sehe:

Im ersten Satz wird klar gemacht, dass jeder das Recht hat, dass die Gemeinschaft ihm in unverschuldeten Notlagen hilft. Für das Hartz-IV-Beispiel bedeutet das zunächst, dass wer sein Einkommen nicht selbst sichern kann, Anspruch auf Hilfe hat.

Der zweite Satz besagt, dass die Gesellschaft ihm dabei nicht so viele Auflagen machen darf, dass er sich nicht mehr frei entfalten kann. Es ist beispielsweise eine Absage an Forderungen, dass Rauchern, Trinkern, Nicht- oder Extremsportlern die Leistungen gekürzt werden oder sie höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssen, weil sie durch ihr Verhalten besondere Gesundheitsrisiken eingehen. Es geht aber beispielsweise auch um Menschen, die etwa durch eine schiefgegangene Unternehmensgründung nicht bis ans Ende ihres Lebens ihre Lebenschancen verwirken sollen. Allgemein geht es darum, dass die Gemeinschaft auch das Eingehen von Risiken bewusst zulässt und nicht umgekehrt durch Solidaritätsentzug die Freiheit und Risikobereitschaft der Menschen unterdrückt.

Den dritten Satz dagegen kann man mit Hartz-IV beim besten Willen nicht in Verbindung bringen. Hier geht es eher darum, den zweiten Satz dahingehend einzuschränken, dass die Solidarität der Gemeinschaft nicht ungefragt und unbeschränkt in Anspruch genommen werden kann. Hier kann es um Fragen gehen wie Unternehmens-Bailouts, Hochwasserschäden an Bauten in Überflutungsgebieten, riskante Technologien wie Kernkraft oder betrunkene Raser, die nicht ohne weiteres erwarten können, dass sich die Gesellschaft hier solidarisch zeigt. Der Satz lässt aber die Möglichkeit offen, dass der einzelne oder eine Gruppe bei einem riskanten Vorhaben dennoch von der Gemeinschaft unterstützt wird, wenn es im Interesse der Gemeinschaft ist, dass jemand dieses Risiko eingeht. Die Entscheidung darüber liegt aber der Gemeinschaft.

Ich räume ein, dass hier möglicherweise Klarstellungs- und Erläuterungsbedarf besteht, und dass man sicher an der Formulierung feilen könnte, aber die Grundsätze halte ich für richtig, und sie finden in der Form in der Regel auch in unserer Gesellschaft Anwendung.

Zu eurer Kritik: "The Trouble With Pro Tanto"

Auch hier offenbart sich der Unterschied zwischen meiner Herangehensweise und euren Erwartungen an ein Parteiprogramm.

Die Vollständigkeit, die ihr verlangt, kann es nicht geben, insbesondere nicht in einem Parteiprogramm, und dann auch noch die Präzedenzen zu klären – das schafft nicht einmal unser Grundgesetz.

Verteilungsgerechtigkeit ist auch keine Frage, die man in der praktischen Politik isoliert sehen kann, so wie es in vielen Theorien zur Verteilungsgerechtigkeit versucht wird, die ich mir im Übrigen auch im Vorfeld angesehen habe.

Ich habe mich jedoch bewusst entschieden, nur die wichtigsten Prinzipien herauszugreifen, die ich für eingängig und in einem Programm für Piraten als verwendbar halte.

Doch nehmen wir die von euch kritisierte Aussage:

"Wer mehr für die Gemeinschaft leistet, dem steht auch mehr zu, …"

Zunächst einmal geht der Satz in meinem Entwurf weiter:

“…,doch in einer sozial gerechten Gesellschaft darf kein Mensch so arm werden, das er seine Würde verkaufen muss, um leben zu können, und kein Mensch darf so reich sein, dass er einem anderen Menschen die Würde abkaufen kann.”

Keine Ahnung, warum ihr ausgerechnet die zweite Hälfte bei der Kritik weggelassen habt, und dann behauptet, der Satz klänge nach FDP. Sorry, aber derartige Kritik ist nicht sachgerecht.

Doch selbst wenn man nur den ersten Teil des Satzes für sich nimmt: "Wer mehr für die Gemeinschaft leistet, dem steht auch mehr zu, …"

Natürlich lässt er viel Spielraum zu, doch das ist so gewollt. Ich habe doch nicht den Absicht, in einem grossen Wurf alle Probleme so detailliert zu lösen, dass man aus unserem Werteabschnitt direkt die optimale Steuerformel ableiten kann.

Dieser Satz soll nichts anderes bedeuten, dass wir es für gerecht halten, wenn es Einkommensunterschiede gibt, die sich an der Leistung für die Gemeinschaft messen. Diese Aussage für sich allein lässt es durchaus zu, dass alle Parteien von der Linken bis zur CDU sich durchaus mit dieser Aussage anfreunden können. Vermutlich galt dieses Prinzip sogar im real existierenden Sozialismus.

Es ist aber nicht beliebig. Wir distanzieren uns damit beispielsweise klar vom strikten Egalitarismus und vom Kommunismus – eine Aussage, die zu treffen ich für sehr wichtig halte, denn ich halte strikten Egalitarismus für ungerecht, und ich denke, dass es die meisten Piraten und Wähler genauso sehen.

Der zweite Teil des Satzes ist aber genauso wichtig und hilfreich, nämlich, dass es obere und untere Grenzen gibt, deren Überschreiten die gleiche Würde aller untergräbt.

Und ihr hab ja durchaus weitere Prinzipien im Text identifiziert, an denen man Orientierung finden kann – praktisch hängen aber die meisten Prinzipien zusammen, und um das Abwägen kommt man ohnehin nicht herum.

Eure Forderung nach einem allgemein gültigen Präferenzsystem für pro-tanto-Prinzipen ist einfach absurd – die wird es so niemals geben. Einzelne, wichtige Präferenzen herauszuarbeiten ist sicher möglich und sinnvoll, doch das muss die Partei in einem langen Prozess kleiner Schritte machen.

Hier geht es im ersten Schritt darum, zu bestimmten Dingen einfach erst einmal “Ja” zu sagen. Das allein würde den Möglichkeitsraum bereits erheblich verkleinern, und wir könnten uns dann tatsächlich dem Problem widmen, das alles weiter zu konkretisieren.

Mit eurer Forderung nach einer perfekten und allumfassenden Lösung ist nur eines  zu erreichen: Dass wir als Partei (nicht als einzelne) weiter werte- und orientierungslos bleiben.

Zu eurer Kritik: "Äquivokation"

Nun wird es wirklich wild. Freiheit und Verantwortung sind doch keine Teekesselchen. Ich wüsste nicht, dass es für Freiheit und Verantwortung überhaupt homonyme Verwendungsmöglichkeiten gibt, und erst recht keine Polyseme wie beim “Bart”-Beispiel. Bei der Verwendung der Begriffe Freiheit und Verantwortung im Text kann man bestenfalls von Ambiguität sprechen, aber selbst so weit würde ich nicht gehen. Ich würde Vagheit oder Unbestimmtheit für den angemessenen Terminus halten, wenn man den Anspruch wissenschaftlicher Präzision stellen möchte.

Zu den angeblichen drei Bedeutungen von Verantwortung:

Ihr schreibt:

Zunächst hat "Verantwortung" mindestens drei verschiedene Bedeutungen:
a) ich kann die Zuständigkeit für etwas übernehmen und in diesem Sinne Verantwortung tragen,
b) ich kann für etwas zu Rechenschaft gezogen werden und in dem Sinne verantwortlich sein,
c) ich habe etwas verursacht und bin Schuld an dem Ergebnis.

a) trifft nicht zu, denn Zuständigkeit und Verantwortung können in verschiedenen Händen liegen und sind unterschiedliche Dinge – die Trennung von Zuständigkeit und Verantwortung ist (leider) ein gängiges Organisationsprinzip ("Auf deine Verantwortung")

b) und c) sind dagegen weitestgehend semantisch identisch, wobei c) eigentlich auch falsch ist, da Schuld und Verantwortung zwar verwandte, aber verschiedene Konzepte sind.

“Verantwortung tragen” heisst, im Nachgang einer Handlung oder Entscheidung Rechenschaft ablegen zu können.

Doch nun zur kritisierten Aussage:

"Nur der freie Mensch kann das Gesetz achten, und nur wer frei ist, kann Verantwortung tragen."

Ich halte diese Aussage für absolut vertretbar, auch wenn sie bewusst aus rhetorischen Gründen als hyperbolische Sentenz formuliert ist und damit Gefahr läuft, angreifbar zu werden. In diesem Fall dient diese Angriffsfläche jedoch auch der Provokation des politischen Gegners.

Ihr kritisiert auch nur den zweiten Teil, insofern werde ich mich in meiner Erwiderung darauf beschränken: “… nur wer frei ist, kann Verantwortung tragen”.

Frei zu sein (zum Zeitpunkt der Handlung oder Entscheidung) heisst, ohne inneren und äusseren Zwang handeln oder entscheiden zu können. Handele ich unter Zwang, dann bin um so weniger verantwortlich, je grösser der Zwang. Hält mir jemand eine Pistole an den Kopf und sagt “fahr los”,  werde ich mich kaum wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtverstössen verantworten müssen.

Das Sklavenbeispiel passt auch nur, wenn man die hyperbolische Sentenz verkennt. Ein Sklave kann natürlich auch Verantwortung tragen, wenn er ohne inneren und äusseren Zwang, also frei handelt. Da man beim Sklaven aber das Gegenteil als allgemeinen Zustand voraussetzen muss, kann auch ein Sklave allgemein keine Verantwortung tragen, auch wenn das im besonderen möglich ist.

Unter dem Strich bin ich der Meinung, dass man "nur wer frei ist, kann Verantwortung tragen" in der politischen Auseinandersetzung verwenden kann. Wenn etwa der Staat die Freiheit des einzelnen einschränkt, übernimmt der Staat auch einen Teil der Verantwortung für die Folgen. Will man, dass Menschen verantwortlich handeln, muss man ihnen die Freiheit lassen.

Zur Verwendung von des Begriffs Freiheit
Wie eingangs geschildert, ist die Unterscheidung der verschiedenen Formen von Freiheit, die ich im Antrag auch überhöht als “Dimensionen von Freiheit” bezeichne, enthalten.

Ich habe mich aber bewusst dagegen entschieden, jedes Mal nach Willens-,  Wahl- und Handlungsfreiheit zu unterscheiden oder im schlimmsten Fall mehrfach von “Willens- und Handlungsfreiheit” zu sprechen, weil das einfach den Text sehr hässlich und schwerer verständlich macht. Ich habe mich daher entschlossen, immer nur den allgemeinen Oberbegriff “Freiheit” zu verwenden, da ich davon ausgehe, dass der bewanderte Lesers jeweils automatisch die richtige Form von Freiheit (einschliesslich des Oberbegriffs) wählt und liest, während es dem weniger differenzierenden Leser ebenfalls ein intuitives Verständnis ermöglicht, da er ja nicht notwendigerweise eine bestimmte Form von Freiheit ausschließt.

Zu eurer Kritik: "Vermengen von verschiedenen philosophischen Ideen – Was gut ist, wird kopiert"

Diesen Teil eurer Kritik finde ich am meisten fruchtbar und hilfreich. Er bringt nämlich sehr schön auf den Punkt, mit welchem Grundproblem wir in der Politik konfrontiert sind, und vor welchen Herausforderungen wir stehen, wenn wir uns an Werten und grundlegenden Prinzipien orientieren wollen.

Das Prinzip "Vermengen" liegt meinem Text unzweifelhaft zu Grunde, und es führt in der Tat zu Widersprüchen. Diese Widersprüche sind aber real existierende Widersprüche, die im Text enthalten sind, weil sie in unserer Gesellschaft, in der Politik und in unseren Köpfen existieren. Ich halte meinen Antrag gerade deshalb für wertvoll und brauchbar, weil er verschiedene Prinzipien benennt, an denen man sich orientieren kann, statt zu suggerieren, es gebe den einen richtigen Weg. Ich habe mir jedoch Mühe gegeben, einige Prinzipien derart abzuwandeln und zu "entschärfen", dass Widersprüche auflösbar werden – dazu später.

Der von euch in Feld geführte Widerspruch zwischen prozeduraler Gerechtigkeit und Ergebnisgerechtigkeit mag in einer rein philosophischen Betrachtung inakzeptabel sein, doch Aufgabe der Politik ist es gerade, derartige Widersprüche aufzunehmen. Sie muss Regeln zu finden, die im Kleinen, also prozedural möglichst gerecht sind, doch sie muss auch mit den daraus enstehenden ungewollten oder inakzeptablen Ergebnissen umgehen, die auftreten, weil die Welt kein Sandkasten ist.

Das für mich sehr schöne Ergebnis aus eurer Betrachtung ist, dass sie folgendes Dilemma der Poltik sehr schön auf den Punkt bringt: Grundsätzlich möchte man in der Politik gerechte Prozeduren haben, doch weil wir die perfekten gerechten Prozeduren nicht haben, muss man in der Politik in bestimmten Fällen ein ungerechtes Ergebnis durch Prozeduren heilen, die für sich genommen dann prozedural ungerecht sein können. Der Philosoph kann sich jetzt natürlich hinstellen und einfach grundsätzlich das Ergebnis gerechter Prozeduren als gerecht definieren. Die Politik kann das aber nicht, weil die Menschen irgendwann schlicht revoltieren.

Ich halte es daher für völlig legitim, einerseits gut begründbare Prozeduren ins Feld zu führen, und gleichzeitig Kriterien anzugeben, wie für uns ein wünschenwertes und akzeptables Ergebnis aussieht.

Im übrigen lassen die Formulierungen durchaus Spielraum, Wiedersprüche aufzulösen. Nehmen wir etwa den Begriff "freie Übereinkunft", den ich nicht nur aus sprachlichen Gründen der "freiwilligen Übereinkunft" vorgezogen habe. Im Kern sind beide praktisch gleichbedeutend, beide setzen ein "Wissen und Wollen" voraus. Die "freie Übereinkunft" betont jedoch mehr die Abwesenheit von innerem und äusserem Zwang und setzt das "Wollen" ein stückweit in den Hintergrund. Damit vergrössert sie beispielsweise den Spielraum, die Gerechtigkeit von Vereinbarungen zwischen unterschiedlich potenten Partnern grundsätzlich anzuzweifeln.

Der meiner Meinung nach eingängiste Weg, den Widerspruch zwischen dem Aneignungs- und Transferprinzips und den Ergebnisprinzip aufzulösen, läuft über die Frage des Wissens: Verfügt eine Partei beispielsweise nicht über das Wissen, dass die Vereinbarung zwangläufig zu einem ungerechten Ergebnis führen wird, so lässt sich auch rückwirkend die Gerechtigkeit einer Vereinbarung anzweifeln, um die Folgen heilen zu können.

Aus diesem Grund habe ich auch das einfache Prinzip "Vereinbarungen sind einzuhalten" durch "gerechte Vereinbarungen sind einzuhalten" aufgeweicht.

Die Kritik, dass uns das Aneignungs- und Transferprinzip im rechten Spektrum positioniert wäre nur dann stichhaltig, wenn wir es als einziges Prinzip hochhalten würden, und wie ihr richtig erkannt habt, war das auch der Grund für die Hinzunahme weiterer Prinzipien. Doch die Form eurer Kritik ist an dieser Stelle fragwürdig: Ihr kritisiert erst ein einzelnes Prinzip, als stünde es für sich, was es nicht tut, um dann zu kritisieren, dass es nicht alleine stehen kann, was es nicht tut, und kritisiert dann, das man Prinzipien nicht nebeneinander stellen kann. Das kann ich so nicht annehmen.

Ihr kritisiert folgende Formulierung im Antrag: "Eine Regel oder Vereinbarung ist dann gerecht, wenn sie durch freie Übereinkunft der Beteiligten zustande kommt."

Ursprünglich fand sich in der Formulierung nur die "Vereinbarung". Die "Regel" habe ich hineingenommen, weil eine Vereinbarung auch Regeln und Regelungen beinhalten kann. Ich hatte dann auch darüber sinniert, was mit den Betroffenen ist, und ob sie nicht einbezogen werden müssen.

Ich habe mich aus folgenden Gründen dagegen entschieden:

  • Werde alle Betroffenen beteiligt sind, sind sie alle Beteiligte und brauchen nicht erwähnt werden
  • Bin ich von einer Regel oder Vereinbarung betroffen, an der ich nicht beteiligt bin, darf ich die Gerechtigkeit dieser Vereinbarung grundsätzlich anzweifeln; die Beweislast, dass es sich um eine gerechte oder ungerechte Regel oder Vereinbarung handelt, liegt dann nicht bei mir

Ich weiss auch, dass der Kontraktualismus als gesellschafttsheoretisches Legitimationsprinzip problematisch und tendenziell aus der Mode gekommen ist, aber für mich ist dieses Grundprinzip im Kleinen wie im Grossen ein wichtiger Pfeiler von Gerechtigkeit, das ich in dem Zusammenhang für unberzichtbar halte.

Ich halte die daraus resultierenden Probleme jedoch für handhabbar, und finde den in der Regel steckenden Imperativ, nämlich die Menschen aus Gerechtigkeitsgründen zu beteiligen, wenn sie betroffen sind, für sinnvoll und brauchbar, auch wenn dieses Prinzip nicht kategorisch durchsetzbar ist.

Zu John Rawls "Theorie of Justice": Seine Gerechtigkeitstheorie hat mit dazu geführt, dass ich neben den "Klassikern" Würde und Freiheit  die "Gerechtigkeit" als Wert nach oben gestellt habe.

John Rawls Differenzprinzip und den "Schleier des Nichtwissens" habe ich aus mehreren Gründen nicht direkt aufgenommen:

  • Ich habe keinen Weg gefunden, das Prinzip verständlich in wenigen Sätzen zu vermitteln
  • Ich halte die Theorie grundsätzlich für schwer vermittelbar
  • Ich teile die Kritik, dass es in der politischen Praxis fast unmöglich ist, den "Schleier des Nichtwissens" anzuwenden, weil man zu viele Hypothesen aufstellen muss

FAZIT

Wir sollten diese Diskussion unbedingt fortsetzen und weiterführen. Eure Kritik hat mich nicht dahingehend überzeugt, von meinem Antrag Abstand zu nehmen. Ich sehe ihn nach wie vor als einen Text, auf den sich die Piraten vielleicht einigen können, und mit dem man politisch gut arbeiten kann.

Ich werde auch unabhängig davon, ob dieser Antrag nun beschlossen wird oder nicht, die darin gemachten Aussagen vertreten, denn ich halte sie für grundsätzlich richtig, und sie entsprechen meiner politischen und ethischen Grundhaltung.

Sie sind aber sicher auch nicht das allerletzte Wort in dieser Frage, und egal, ob der Antrag breite Zustimmung findet oder nicht, wird das Thema Grundwerte die Partei weiter begleiten. So oder so ist es erforderlich, den Diskurs weiter zu führen und Wege zu finden, wie wir mit den real existierenden Widersprüchen, die sich hier manifestieren, im politischen Alltag umgehen werden.

Ich würde mich jedoch freuen, wenn auch ihr den Antrag als ersten wichtigen programmatischen Schritt zu einer allgemein Positionierung sehen könntet. Eure Kritik, für die ich euch noch mal danken möchte, hat mich jedoch nicht in dem Maße überzeugt wie die viele positive Resonanz, die ich erhalten habe.

 

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4 Antworten zu “Kritik einer Wertepositionskritik”

  1. Hey Pavel 🙂

    Danke für deine ausführliche Replik! Schade, dass wir dich nicht ganz überzeugt haben – du uns aber auch nicht ganz, deshalb wird da auch von unserer Seite noch etwas hinterherkommen.

    Ich freue mich jedenfalls sehr, dass wir so eine sachliche und gute Diskussion zu so spannenden Themen führen können!

    Bis zum nächsten Beitrag also ;),
    lieber Gruß,
    Lena

  2. Hallo Pavel,

    mir gefällt dein Entwurf zu den Grundwerten der Piratenpartei (ohne mit dieser Partei irgendetwas zu tun zu haben). Ja, eine Partei sollte so etwas Identitätsstiftendes haben, damit es zumindest einen, wenn auch schwachen, absoluten Bezugspunkt gibt, anstatt Beliebigkeit, die von Modeerscheinungen und selten hinterfragten Traditionen getrieben wird. Und natürlich ist die Kritik von arte_povera und rhotep sehr berechtigt, soweit ich das als philosophischer Laie beurteilen kann.

    Allerdings: Grundwerte im Parteiprogramm sind keine Gesetze; sie müssen kurz und klar sein, statt juristisch wasserdicht. Sie müssen nicht eindeutig sein, sondern eine grobe Skizze, so dass der Leser eine Vorstellung von den Idealen und dem Weltbild der Partei bekommt, ohne dabei den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Und das tut dieser Entwurf m.E. sehr gut. Nicht zu lang, aber auch nicht schwammig bis zur Beliebigkeit. Die meisten anderen Parteien haben das vermutlich nicht so gut hinbekommen (ich habs jetzt nicht nachkontrolliert); da wird dann von „christlichen Werten“ geschwafelt, mit denen dann alles gerechtfertigt werden kann.

    Also: Hut ab! (Und auch Respekt an arte_povera und rhotep für die detaillierte und sachliche Kritik.)

    Christoph

  3. Ich habe hierzu etwas in meinem Blog geschrieben: http://www.ipernity.com/blog/rumpel/290547 Es ist zwar kein inhaltlicher Beitrag zur Diskussion, aber zumindest ist dieser Artikel hier Anlass und (Teil-)Gegenstand meines Textes zugleich (also vielleicht doch ein bisschen interessant oder auch nicht).

    Ich bin jedenfalls sehr glücklich damit, dass diese Diskussion öffentlich ist, und möchte mich hiermit dafür bedanken. Ich fühle mich durch solch niveauvolle Debatten sehr inspiriert.