Werte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
Liebe Frau Bundesministerin Zypries,
Sehr geehrte Damen und Herren Kabinettsmitglieder,
was Sie da gestern beschlossen haben, ist ein grosser Haufen Scheisse, der mächtig zum Himmel stinkt. Ich glaube, dass Sie sich überhaupt nicht darüber im klaren sind, was Sie da angerichtet haben. Falls dieser Beschluss so umgesetzt werden sollte, was ich für ungewiss halte, hätten Sie dem Recht, den Menschen in Deutschland und insbesondere den Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen einen Bärendienst erwiesen, indem sie das Kopieren von medialen Kulturgütern für den Privatgebrauch zu einer Straftat machen.
Sie haben in ihrer Aufgabe, das Recht und das Rechtwesen in diesem Land fortzuentwickeln, nicht einfach versagt, sondern sind dabei, fahrlässig Schaden anzurichten: Wer Gesetze erlässt, die von Menschen als grob ungerecht empfunden werden, schädigt das Recht und Gesetz an sich und fördert Politikverdrossenheit. Er lädt ausserdem Staatsanwälten und Richtern zusätzliche Lasten auf und hält sie davon ab, echte Straftäter zu verfolgen und echte Opfer zu schützen.
Ihr Gesetzesnovelle ist auch grob unsozial: sie trifft vor allem Menschen, die sich überteuerte Originale nur selten leisten können und auf das Kopieren im Freundeskreis angewiesen sind, dazu zählen überwiegend Kinder und Jugendliche. Ihr Gesetz richtet sich in besonderem Maße gegen Familien und sozial Schwache, die dann bereits durch Verfahrenskosten in existentielle Not geraten können. Wenn Sie glauben, das sei übertrieben, dann ist ihr ministerieller Kokon in den letzen Jahren wohl vollkommen undurchlässig geworden: Computergenerierte Massenabmahnungen und Massenstrafanzeigen gegen Jugendliche und ihre Eltern sind bereits jetzt Realität. Wollen Sie darauf demnächt mit Massencomputerverurteilungen reagieren? Oder wollen Sie die sozialen Transferleistungen erhöhen, damit sozial Schwache mehr Geld bei den Medienunternehmen lassen können?
Das schlimmste aber sind die langfristigen Auswirkungen auf die Bewahrung und Verbreitung von Kulturgütern. Wenn das Kopieren technisch und gesetzlich immer mehr erschwert wird, werden viele Kulturgüter für immer verloren gehen. Theoretisch lassen sich Filme, Bücher und Musikstücke in Datenbanken einigermassen bewahren, aber selbst der grösste Internet Shop für Musik, Apple Itunes reicht bei seinen Titeln nicht an ein Rundfunkarchiv aus den 1970er Jahren heran. Und alte Computerspiele und interaktive multimediale CDs sind bereits jetzt durch die technische Entwickung von unwiederbringlichem Verlust bedroht, und Ihr Gesetz kriminalisiert jetzt auch noch diejenigen, die elektronische Kultur bewahren wollen. Schämen Sie sich eigentlich nicht?
Ihr Gesetz geht in die komplett falsche Richtung: Es verstärkt ein bereits jetzt bestehendes Ungleichgewicht zugunsten der Rechteinhaber und zu Ungunsten der Bürger, denen oft nicht hinnehmbare Einschränkungen bei der Nutzung zugemutet werden, etwa bei Un-CDs und Sabotagesoftware. Statt offensiv gegen Praktiken wie etwa der Untestützung von Raubkopierern durch die GVU und das Verleiten von Jugendlichen zu Straftaten vorzugehen, machen Sie Gesetze gegen die Opfer. Und mit dem Auskunftanspruch unterstützen Sie sogar die bisher illegal praktizierte breite Ausspähung von Internetnutzern durch private Unternehmen, ein unerhörter Vorgang.
Eine zeitgemässige, zukunfts- und verbraucherorientierte Novelle des Urheberrechts und anderer Gesetze würde in eine ganz andere Richtung zielen:
- Verbot von Un-CDs
- Strafgesetze gegen Sabotagesoftware in Produkten
- Generelles Verbot von technischen Massnahmen, die dauerhaft das Kopieren verhindern (allenfalls Kopierschutz auf Zeit)
- Filme, Musik und Software sollten nach 20 Jahren, besser nach 10 Jahren generell frei kopiert werden dürfen; Kopierschutz und DRM sollte grundsätzlich verboten sein, außer wenn ein Datenträger mit dem Werk und die Schlüssel für das Entsperren technischer Schutzmassnahmen bei der Veröffentlichung bei mehreren staatlichen Treuhändern hinterlegt werden
- Einführung einer pauschalen Vergütung von Rechteinhabern für Privatkopien ab dem Zeitpunkt, ab dem kein technischer Kopierschutz besteht; keine Vergütung für technische geschütze Veröffentlichungen
- Einrichten eines zentrales Archivs aller ausgestrahlten Rundfunksendungen mit freiem Zugriff über das Internet für Zahler von Rundfunkgebühren
- Verpflichtung von Herstellern zur Herausgabe technischer Informationen über Datenformate von Softwareprodukten
- Recht auf Umgehung technischer Schutzmassnahmen, die das Kopieren erschweren
- Stärkung des Rechts auf Reverse Egineering und freie Veränderung von Hard- und Software; generelle Ungültigkeit abweichender Lizenzbedingungen
- Grosszügiges Recht auf freie auzugsweise oder verfremdete Verwendung von Bildern, Musik, Text, Film und Software in eigenen künstlerischen Schöpfungen
- Recht auf Anonymität im Netz; Preisgabe der Zuordnung von IP-Adressen zu Identitäten nur bei Verdacht auf schwere Strafdaten
- Schaffen eines Vergütungssystems, das alle Kulturschaffenden, z.B. auch Blogger, Open Source Programmierer, Podcaster, Verfasser von Internet-Ratgebern und Amateurmusiker mit einbezieht.
- Recht auf freien Internetzugang auch für sozial Schwache.
- Verbot des Filtern und der Zensur von Internet-Inhalten
- Schutz durch Pressegesetz auch für Internet-Autoren
- Verbot von Grundverschlüsselung von Fernsehprogrammen
- Verbot von technischen Maßnahmen, die das Aufzeichnen von Fernsehsendungen erschweren
Obwohl ich zu den Personen gehöre, die eher finanzielle Vorteile von Ihrem falschen Gesetz haben werden, sehe ich mich dazu veranlasst, im Rahmen meiner Möglichkeiten massiv darauf hinzuwirken, dieses falsche Gesetz zu verhindern, da der Schutz der Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten meiner Kinder und der soziale Frieden einen weitaus höheren Stellenwert für mich hat.
Ich fordere Sie auf, das Vorhaben zu überdenken und sich darüber bewusst zu werden, wen sie eigentlich vertreten und in wessen Interesse Sie zu handeln verpflichet sind. Im Übrigen werde ich mich darum bemühen, das mich in Zukunft Politiker regieren, die sich nicht derart offensichtlich vor den Karren einzelner Bracheninteressen spannen lassen.
Mit tiefer Verärgerung
Pavel Mayer.
P.S.: Stellen Sie sich die Welt vor, wenn seinerzeit die Musik- und Filmindustrie mit ihren Versuchen Erfolg gehabt hätte, die Compact-Cassette und den Videorekorder zu verbieten.