Sehr geehrter Herr Sarrazin,
Sie haben mit beeindruckenden und starken Worten auf einige Berliner Missstände aufmerksam gemacht, darunter Probleme mit der Integration bestimmter Bevölkerungsgruppen und deren Geburtenraten.
Leider bleiben Sie etwas unspezifisch, was die Lösung des Problems betrifft, und Sie benennen auch nicht die Ursachen und die Verantwortlichen.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie sozial höher gestellte Menschen nach Berlin importieren, vor allem Beamte, und dagegen integrationsverweigernde türkisch- und arabischstämmige Gemüsehändlerfamilien durch wirtschaftlichen Druck dazu bewegen, dass sie die Stadt verlassen und sich irgendwo anders niederlassen. Außerdem hätten Sie gern mehr intelligente Juden aus Russland in der Stadt.
Dazu möchten Sie auch die Integrationsverweigerer aus der deutschstämmigen Unterschicht vertreiben und damit die Quote in Berlin von 20% auf bundesübliche 10% senken.
Ihre Eloquenz vermag in der Tat beim ersten Lesen zu verdecken, dass ihre Ideen so dämlich sind, wie sie hier dargestellt klingen. Sieht man einmal davon ab, dass sie unmenschlich und praktisch undurchführbar sind, dann fällt einem logisch denkenden Menschen auf, dass Ihre Vorschläge keines der Probleme lösen. Zum einen verlagern Sie das Problem nur an einen anderen, unspezifizierten Ort, zum anderen ändert sich ja langfristig nichts an der Eroberung des Landes und der Welt durch eine fruchtbare muslimische Unterschicht.
Nein, von einem Mann ihres Kalibers hätte ich da zielführende Vorschläge erwartet, vor allem, da sie ja ohnehin nicht den Anspruch erheben, dass ihre Vorschläge praktikabel sein müssen.
Warum haben sie nicht gleich vorgeschlagen, ein “jus primae noctis” für Beamte bei Eheschliessungen von Transferleistungsempfängern einzuführen?
Eine weiterer Vorschlag, den ich von Ihnen erwartet hätte, wäre die Zulassung von Vielehen für Besserverdienende, wie es ja seit langem von Ferdinand Piëch gefordert wird. Dann müssten Sie und Herr Piëch auch nicht mehr neidisch auf erfolgreiche arabische Wirtschaftsführer und Politiker sein, wie etwa Muhammed bin Laden, der über 50 eheliche Kinder gezeugt hat.
Ich persönlich wäre ja dafür, lieber die Bildungsanstrengungen zu intensivieren, und wenn es sein muss, jedem “Kopftuchmädchen” so lange einen eigenen Lehrer zur Seite zu stellen, bis es beispielsweise eine Beamtenlaufbahn einschlagen kann.
Doch das kostet Geld, viel Geld. Und wie soll man rechtfertigen, dass der Staat hart arbeitenden Menschen noch mehr Geld wegnimmt, um damit arbeitslose Integrationsunwillige zu fördern? Das ist schwierig, da ist es sicher leichter, Schwache unter Druck zu setzen und zu vertreiben. Das ist in der Tat eher mehrheitsfähig.
Doch was halten Sie von der Anwendung des Verursacherprinzips? Die “Gastarbeiter” sind seinerzeit schließlich nicht zufällig ins Land gekommen. Sie wurden im Zeitraum 1953-1973 durch deutsche Arbeitsämter im Ausland geworben, und zwar aus einem Bündel verschiedener Gründe, wie Sie eigentlich wissen müssten. Zum einen wollte das Außenministerium einigen Ländern einen Gefallen tun, damit diese mehr Devisen bekommen, um sich weiterhin unsere Exporte in ihre Länder leisten zu können.
In Deutschland konnten damit die Löhne für viele schmutzige, anstrengende und unqualifizierte Tätigkeiten niedrig gehalten werden. Profitiert haben viele: Die Arbeitgeber bekamen billige Arbeitskräfte, und vielen deutschen Arbeitern ermöglichte es den Aufstieg in qualifiziertere und beliebtere Positionen. Pech hatte nur ein kleiner Teil der deutschen Unterschicht, der den Aufstieg nicht geschafft hat und sich dem Wettbewerb mit ausländischen Billigkräften stellen musste.
Wie man sich aber so lange dermaßen in die Tasche lügen konnte und glauben, dass die Menschen nach ein paar Jahren zurückgehen, das lässt sich nur damit erklären, dass abgehobene und sich selbst überschätzende Menschen wie Sie, Herr Sarazzin, in Politik, Wirtschaft und Verwaltung eine Meinungsführerschaft hatten. Menschen, die, ohne nachzudenken, das schreckliche Wort “Humankapital” im Munde führen. “Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen” hat dagegen Max Frisch bereits 1965 bemerkt.
Doch zurück zur Verantwortung. Bundespolitisch hatte damals das auswärtige Amt bei dieser Politik die Federführung, mit folgenden Ministern an der Spitze:
- Heinrich von Brentano, CDU (1955-1961)
- Gerhard Schröder, CDU (1961-1966)
- Willy Brandt, SPD (1966-1969)
- Walter Scheel, FDP (1966-1974)
Die Abkommen mit Italien (1955), Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964) und Tunesien (1965) wurden unter einem CDU-geführten auswärtigen Amt geschlossen, die SPD hat nur das Abkommen mit Jugoslawien (1968) zu verantworten.
Doch auch die SPD hatte vermutlich nicht viel gegen das Ergebnis einzuwenden.
In Berlin haben die regierenden Bürgermeister Willy Brandt, Heinrich Albertz und Klaus Schütz, alle SPD, zugelassen, dass sich die Situation dort so entwickelte, wie sich sich entwickelt hat.
Dass sich viele Menschen nicht integriert haben, lag vor allem daran, dass man nicht wollte, dass sie sich integrieren, schließlich sollten sie ja wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.
Doch warum gingen sie nicht zurück? Oder wurden zurückgeschickt, schließlich waren die Verträge ja abgelaufen? Die "Gastarbeiter" allein hätten wenig dagegen tun können, wenn man sie zurückgeschickt hätte, sie hatten ja politisch nichts zu melden.
Der Grund dafür, und auch das dürfte Ihnen klar sein, waren die Arbeitgeber. Sie haben ihren politischen Einfluss dafür eingesetzt, dass die Menschen länger bleiben können, denn in ersten Jahren des Aufenthalts wurden die “Gastarbeiter” für ihre Tätigkeiten angelernt und qualifiziert, und das Anlernen neuer, unqualifizierter Kräfte wäre teuer und umständlich gewesen.
Dass die meisten "Gastarbeiter" selbst nicht zurückwollten, kann man ihnen nicht vorwerfen, denn sie waren für viele Familien in der Heimat zu einer wichtigen Existenzgrundlage geworden. Selbst wenn sie sich nicht besonders glücklich in der Fremde fühlten, waren sie moralisch verpflichtet, zu bleiben, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wurde. Dass sie dann nach vielen Jahren in der Fremde ohne Aussicht auf baldige Rückkehr begonnen haben, die Familie nachzuholen, kann man ihnen auch kaum vorwerfen.
Wenn also weder die “Gastarbeiter” die Möglichkeit noch die “Gastarbeitgeber” ein Interesse daran hatten, das alles zu beenden, hätte man das Ergebnis eigentlich vorhersehen können.
Aber selbst, wenn man den Verantwortlichen das Privileg des Irrtums einräumt, spätestens, als die geringen Quoten der Rückkehrer den Irrtum klar belegten, hätte selbst dem dümmsten Beamten oder Politiker auffallen müssen, dass das nicht so funktioniert, wie erwartet.
Doch statt damals konsequent zu handeln, als es noch vergleichsweise einfach gewesen wäre, gab man sich der Fiktion hin, man würde den Aufenthalt nur verlängern und das Problem würde sich irgendwann irgendwie von selbst lösen.
Die Verantwortung für diese fahrlässig herbeigeführte und bewusst tolerierte Entwicklung trägt zwar die Gesellschaft als Ganze, doch in besonderem Maße tragen die damals herrschende Eliten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung die Schuld an der Misere.
Warum also nicht diejenigen in besonderem Maße zur Kasse bitten, die den Schaden maßgeblich angerichtet haben?
Zwar sind die meisten direkt Beteiligten bereits tot, doch die angehäuften Vermögen müssten überwiegend noch existieren. Es ließe sich auch problemlos nachvollziehen, wer damals die Verantwortung getragen und profitiert hat. Die Akten und Protokolle geben das sicher her.
Natürlich haben die alten Politiker und Beamten das Recht auf Solidarität der Gesellschaft, auch wenn sie damals fahrlässig diese Altlasten für die heutigen Generationen geschaffen haben. Aber dann doch bitte auf Hartz-IV Niveau, und nicht die Pensionen von zum Teil über 8000 Euro pro Monat, die viele ehemalige Spitzenbeamte und Politiker derzeit beziehen.
Die Unternehmen, die seinerzeit besonders von Gastarbeitern profitiert haben, könnte man ebenfalls zur Kasse bitten.
Mit den Geldern aus der Wirtschaft, Vermögenseinziehungen und ersparten Pensionzahlungen an Beamte und Politiker könnte man dann einen Sonderfond “Integration” errichten, aus dem mehr Lehrer und Sozialarbeiter bezahlt werden.
Zugegeben: Diese Vorschläge finden sicher bei ebenso vielen Menschen begeisterte Zustimmung wie Ihre Tiraden. Sie sind aber auch genauso unsinnig und unrealisierbar wie Ihre bekloppten Ideen. Ich habe sie hier nur unterbreitet, um zu zeigen, dass man mit Populismus auch anderweitig Unmut schüren und auf andere unbeliebte Minderheiten lenken kann, beispielsweise Politiker, Beamte und Unternehmer.
Damit ist aber niemandem gedient.
Genehmigen Sie, Herr Sarrazin, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Missbilligung
P. Mayer
P.S.: Viele Strassen in Berlin wurden seinerzeit nicht wegen des Verkehrs so breit angelegt, sondern aus polizeilichen Gründen. Bei Volksaufständen können nämlich Barrikaden auf breiten Strassen von den Aufständischen nicht gehalten werden.
11 Antworten zu “Offener Brief an Thilo Sarrazin”
Du hast nur noch vergessen, ihn mit Hitler zu vergleichen, dass macht nämlich nun der Zentralrat der Juden.
Hm, ob die das gemacht haben, weil die türkische Gemeinde bereits vor einer Woche die Entschuldigung von Herrn Sarrazin angenommen und die Bereitschaft erklärt hat, über dieses Thema zu diskutieren?
http://bit.ly/yI5UQ
Ist der Brief schon im Briefkasten, oder kann man den noch unterschreiben?
Walter Scheel, war/ist der nicht in der FDP?
@Todde: Ja, stimmt, habs gefixt.
Du hast Recht: Sarrazin liefert keine ernst gemeinten Lösungsansätze. Und du ja auch nicht.
Sinnvoll finde ich bei Sarrazin aber, einmal innerhalb der Ausländer zu unterscheiden. Etwas, was im üblichen Diskurs kaum gemacht wird. Die Vietnamesen z.B. kamen unter nahezu gleichen Bedingungen in die DDR. Ihre nicht-deutsche Herkunft ist ihnen genauso anzusehen wie Arabern und Türken.
Warum gibt es dann zwischen Vietnamesen und Arabern dennoch so große Unterschiede bei Berufsqualifikation und Gewaltkriminalität?
Übrigens: Kaum jemand (außer ein paar Nazi-Deppen) wirft den Gastarbeitern vor, nicht zurückgekehrt zu sein. Man wirft aber einigen davon vor, nicht selbstverantwortlich mit ihrem Leben umzugehen.
Mit Deinem Ansatz, die Verantwortung für die Probleme _allein_ bei Politikern und Eliten der 1960er und 70er zu suchen, zeichnest du ein merkwürdiges Menschenbild. Nicht ich selbst, sondern allein Politiker sind verantwortlich für mein Leben?
@Georg
„Sarrazin liefert keine ernst gemeinten Lösungsansätze. Und du ja auch nicht.“
Das muss pavel auch nicht, denn erstens ist er nicht in der Position Sazzazins und zweitens gibt es im öffentlichen Integrationsdiskurs schon eine Menge Lösungsansätze.
Doch leider scheitern diese, dreimal darfst Du raten an was, richtig am Geld.
Ich erinnere an das Credo der Reformhysteriker „Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen.“
Und weil das so ist, wurde und wird immer die „Eigenverantwortungskeule“ herausgeholt.
Es gibt wunderbar funktionierende Lösungsansätze, aber leider wird kein Geld dafür ausgegeben – ja, das ist ein weit verbreiteter Glaube. Vielleicht könnte man den mal hinterfragen?
Ich glaube durchaus, das mehr finanzielle Mittel die Integration verbessern könnten. Aber viel entscheidender sind offenbar Faktoren, die von der Herkunft der Ausländer abhängen.
Könnte man die Unterschiede zwischen Vietnamesen und Arabern einmal wahrnehmen? Und sich wundern, warum sie da sind?
Dieses Bild von Ausländern als willenlose Opfer, die gar nicht anders handeln können, wenn Politiker das falsche tun – das entmündigt sie ungemein.
Endlich mal einer, der die Wahrheit sagt. Überzogen fürwahr, doch im Grundsatz hat Herr Sarazin doch Recht.
Integration ist doch nur ein Schlagwort für die Politiker in den entsprechenden Gremien. Und “ mein Geld “ können Sie auch hier wunderbar verpulvern.
Wernur herkommt um unser Sozialsystem auszuplündern – Raus damit ohne Wenn und Aber.
Nun einmal was demokratisches:
Wie wäre es endlich mit Volksentscheiden und Überarbeitung des Grundgesetzes? Da kann ich richtige Demokratie leben.
Keiner von diesen Kritikern und Möchtegernpolitiker kriegt das hin.
Warum wohl?
Fehlt der Hinweis auf die vielen Schönredner, die die bereits offenliegenden Probleme in den Siebzigern bis frühe Neunzigerjahren ignorierten und alle mit der Keule „3. Reich-Neonazi-Ausländerfeind“ bedrohten, die es wagten, die Mißstände deutlich zu benennen. Das war billiger, als rechtzeitig einzugreifen. Ferner machten sich große Teile der SPD und der Grünen Hoffnungen, Migranten würden massenhaft ihre Parteien wählen, wenn man jenen denn mittels der doppelten Staatsbürgerschaft zum Wahlrecht verholfen hätte.
Folgende Liste wartet auf Ergänzungen: J. Fischer, H. Geißler, H. Kohl (16 Jahre Nichtstun), Frau Süßmuth…
Was das Ausw. Amt anlangt, empfehle ich das Buch:
Heike KNORTZ, Diplomatische Tauschgeschäfte. Gastarbeiter in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik. Köln 2008, Böhlau-Verlag, 248 Seiten.
pavel liegen vermutlich Auszüge daraus vor.
-thedor-
@Georg: Das Problem hängt meiner Meinung nach weniger mit den Herkunftsländern zusammen als mit der sozialen Schicht, aus der die Menschen geholt wurden. Viele Türken aus der Mittel- und Oberschicht, die Berlin besuchen, sind entsetzt und beschämt, wenn sie sehen, wie grosse Teile der türkischstämmigen Bevölkerung in Berlin leben.
Zum Thema Geld: Deutschland liegt mit 4.6% Anteil am BIP weltweit an 82. Stelle bei den Bildungsausgaben. Die nordischen Länder geben zwischen 6.4% und 8.3% vom BIP für Bildung aus.
Mit Geld allein wird man die Probleme auch nicht lösen, aber ohne *viel* Geld in die Hand zu nehmen, wird es auch nicht gehen, dafür ist es viel zu spät, die Situation ist dramatisch:
„Im Jahr 2007 hatten 40 Prozent aller in Berlin lebenden Personen unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund.“
„..der Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunft an 38 Berliner Schulen liegt mittlerweile über 80 Prozent.“ (TAZ)
Hans-Ulrich Jörges, STERN, 32/2008, S.46:
»[…] Die ungelöste Integration von Zuwanderern ist das gefährlichste soziale Problem in Deutschland. […]
Zahlen beschreiben die Dramatik treffender als jedes Wort. […]
Migranten in Deutschland: 15,3 Millionen;
Anteil der Migrantenfamilien: 27 Prozent;
Migrantenquote bei Kindern bis zwei Jahre: 34 Prozent;
Migranten ohne Berufsabschluss: 44 Prozent;
Migranten im Alter zwischen 22 und 24 Jahren ohne Berufsabschluss: 54 Prozent;
türkische Migranten ohne Berufsabschluss: 72 Prozent;
erwerbslose Migranten: 29 Prozent;
einkommensschwache Migranten: 43,9 Prozent;
Migranten in Armut: 28,2 Prozent;
Migrantenkinder in Armut: 36,2 Prozent;
türkische Migrantenkinder mit Misshandlungen und schweren Züchtigungen in den Familien: 44,5 Prozent;
Berliner Migrantenkinder mit Förderbedarf in deutscher Sprache: 54,4 Prozent;
Migrantenquote an der Eberhard-Klein-Schule, Berlin-Kreuzberg: 100 Prozent;
Migrantenanteil bei Jugendlichen mit über zehn Straftaten in Berlin: 79 Prozent. […]«
@Pavel: Ich bezweifle, dass die Vietnamesen, die in die DDR kamen, einer anderen sozialen Schicht als die Türken in Westdeutschland angehört haben. Siehe dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Vertragsarbeiter
„Motivation waren zunächst die Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften und später auch die Deckung des Mangels an billigen Arbeitskräften für schlecht bezahlte und/oder gefährliche Arbeitsplätze.“
Wenn ich beide Gruppen vergleiche, finde ich bislang keinen anderen unterscheidenden Faktor als das Herkunftsland. Der unterschiedliche Integrationserfolg muss also irgendwie mit der Kultur zusammenhängen.